Personen, die in der Deutschen Demokratischen Republik aufgewachsen sind, kennen den Begriff Dederon sicherlich schon. Für alle anderen Leser: Hierbei handelt es sich um eine Kunstfaser, die für die Produktion unzähliger Alltagsgegenstände zum Einsatz kam.
Dederon: Was ist das eigentlich?
Leser, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, ist der Begriff Dederon sicherlich geläufig. Wer hingegen aus dem Westen Deutschlands stammt oder erst nach der Wende geboren wurde, kennt diesen Ausdruck hingegen wahrscheinlich nicht. Daher ist es wichtig, zunächst genau zu klären, was es damit überhaupt auf sich hat.
Hierbei handelt es sich um eine Kunstfaser aus Polyamid, die im Osten Deutschlands für die Fertigung vieler verschiedener Produkte zum Einsatz kam – insbesondere für Kleidungsstücke. Allerdings gab es auch einige Gebrauchsgegenstände aus Dederon, wie etwa Einkaufsbeutel. Aufgrund seiner feinen Struktur kam der Stoff auch häufig als Ersatz für Seide zum Einsatz – beispielsweise bei der Produktion von Damenstrümpfen.
Nun stellt sich jedoch die Frage, was eigentlich das Besondere an Dederon ist. Nach der bisherigen Beschreibung handelt es sich dabei lediglich um ein künstlich hergestelltes Textilgewebe, wie es auch in vielen anderen Teilen der Welt verbreitet ist.
Weshalb zählt Dederon also zu den DDR-Kultgegenständen? Die große Bedeutung dieses Stoffs liegt zum einen an der großen Beliebtheit, die er in Ostdeutschland hatte. Er kam besonders häufig als Arbeitskleidung zum Einsatz – insbesondere in der Form der Kittelschürze. Doch auch der Dederon-Einkaufsbeutel fand in dieser Zeit ausgesprochen häufig Verwendung.
Ein Produkt aus Dederon war daher wohl in jedem DDR-Haushalt zu finden. Auf diese Weise wurde der Stoff zu einem Markenzeichen der dortigen Kultur. Zum anderen wurde Dederon aufgrund seiner farbenfrohen Gestaltung zu einem Kultobjekt. Dieses Material eignet sich sehr gut, um es mit intensiven Farben einzufärben. Auf diese Weise setzte es prägnante optische Reize. Daher steht es als Sinnbild für die funktionale aber sehr farbenfrohe DDR-Mode.
Video: Dederon – Die Wunderseide aus Schwarza, MDR.de
Die Entwicklung von Dederon
Um den Ursprüngen dieser Faser auf den Grund zu gehen, muss man weit in der Geschichte zurückgehen. Die Bemühungen, ein künstliches Gewebe aus Polyamid herzustellen, reichen bis vor den Zweiten Weltkrieg zurück. 1935 gelang es US-amerikanischen Unternehmen DuPont erstmals, ein vollkommen künstlich hergestelltes Gewebe zu erzeugen. Der Stoff erhielt den Namen Nylon.
Das erste Produkt, das daraus hergestellt wurde, war die Zahnbürste. 1940 kamen dann Damenstrümpfe hinzu. Von besonders großer Bedeutung wurde dieser Stoff jedoch während des Zweiten Weltkriegs. Zu dieser Zeit suchten die Alliierten verzweifelt nach einem Material, das sich für die Herstellung von Fallschirmen eignete. Hierfür kam zuvor Naturseide zum Einsatz.
Der mit großem Abstand größte Produzent für diesen Stoff war jedoch Japan – also ein Kriegsgegner. Daher wurden die Forschungsarbeiten intensiviert, um die Seide als Rohstoff zu ersetzen. Nach einiger Zeit gelang es, Fallschirme aus Nylon zu fertigen. Darüber hinaus kam dieses Material während des Kriegs auch an anderen Stellen zum Einsatz – beispielsweise als Bürste, um Waffen zu reinigen.
Diese Entwicklung führte dazu, dass man auch in Deutschland intensiv an einer entsprechenden Polyamid-Kunstfaser forschte. Auf diese Weise entstand Perlon. Dieses Material ist chemisch recht ähnlich, doch gibt es größere Unterschiede beim Herstellungsprozess. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs geriet die Perlon-Produktion jedoch vorerst in Vergessenheit.
Erst Ende der 50er Jahre entstand in Ostdeutschland wieder eine erhöhte Nachfrage nach Textilprodukten. Um dieser nachzukommen, griff die Regierung auf die Forschungen der Kriegszeit zurück. Auf diese Weise gelang es, eine hochwertige und robuste Kunstfaser herzustellen.
Wie entstand der Name Dederon?
Sehr interessant ist auch die Wortschöpfung, die für die Namensgebung verantwortlich ist. Hierbei handelt es sich um eine Zusammensetzung des Worts DDR mit der Silbe on, die als Endung für zahlreiche Textilien zum Einsatz kam.
Das bedeutet, dass hier der Staat als Namensgeber für ein Textilprodukt diente. Auch dieser Aspekt trägt dazu bei, dass es sich bei Dederon um ein DDR-Kultprodukt handelt, das zahlreiche Erinnerungen an das Leben in Ostdeutschland weckt.
Nylon, Perlon, Dederon: Unterschiede zwischen den Polyamidfasern
Die vorherigen Abschnitte haben bereits gezeigt, dass es verschiedene Stoffe gibt, die sehr ähnliche Eigenschaften wie Dederon aufweisen. Daher ist es interessant, sich einmal die genauen Unterschiede zwischen diesen Materialien anzuschauen.
- Bei Nylon handelt es sich um ein 6.6-Polyamid. Die chemische Formel für diesen Stoff lautet (–NH–(CH2)6–NH–CO–(CH2)4–CO–)n.
- Perlon hingegen ist ein 6-Polyamid mit der Formel (–NH–(CH2)5–CO–)n.
Die chemische Zusammensetzung deutet bereits darauf hin, dass die beiden Materialien recht ähnlich aufgebaut sind. Auch hinsichtlich der physikalischen Eigenschaften gibt es nur geringfügige Unterschiede. Allerdings ist das Herstellungsverfahren ein ganz anderes. Nylon wird aus Hexamethylendiamin und Adipinsäure hergestellt. Als Verfahren wird die Polykondensation verwendet. Dabei wird außerdem Wasser abgespaltet. Perlon entsteht hingegen durch eine Ringöffnungspolymerisation aus ε-Caprolactam.
Nun stellt sich noch die Frage, wie Dederon chemisch aufgebaut ist. Die Antwort darauf lautet: Genau gleich wie Perlon. Bei Dederon handelt es sich aus chemischer Sicht nicht um einen eigenständigen Stoff. Die Forscher der DDR haben lediglich die Ergebnisse aus der Forschung während der Kriegszeit wiederverwendet und dem Produkt einen neuen Namen gegeben.
Dederon: Ein Produkt der Chemieindustrie der DDR
Dieser Stoff ist nicht nur ein Symbol für die Kultur Ostdeutschlands. Darüber hinaus stellt er einen Inbegriff für die DDR-Industrie dar. Nach Kriegsende war die Wirtschaftsleistung genau wie in Westdeutschland nur minimal. Es kam hinzu, dass die sowjetischen Besatzer das Land im Gegensatz zu den westlichen Besatzungsmächten kaum beim Wiederaufbau unterstützten. Dennoch kam es zu einer erstaunlichen Reindustrialisierung.
1957 förderte die Deutsche Demokratische Republik beispielsweise 50 Prozent der weltweit abgebauten Braunkohle. Auch die Stahlproduktion konnte sich rasch wieder erholen. Eine herausragende Leistung wurde jedoch auch im Chemiesektor vollbracht. Ende der 50er Jahre konnte die DDR-Chemieindustrie weltweit die zweithöchste Produktionsrate verzeichnen. Eines der wichtigsten Produkte dieses Industriezweigs war der Dederon.
Für die Produktion waren in erster Linie drei Betriebe verantwortlich:
- VEB Chemiefaserwerk Herbert Warnke, Wilhelm-Pieck-Stadt Guben
- VEB Chemiefaserwerk Friedrich Engels, Premnitz
- VEB Chemiefaserkombinat Wilhelm Pieck, Rudolstadt-Schwarza
Auf diese Weise trug dieser Stoff auch zum Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland bei. Die folgende Tabelle zeigt, dass das Land insbesondere in den 50er- und 60er-Jahren ein sehr hohes Wachstum verzeichnen konnte:
1950 | 98,186 |
1960 | 240,271 |
1970 | 405,477 |
1950 | 655,212 |
1950 | 810,963 |
Strumpfhosen, Einkaufsbeutel, Kleider: Vielfältige Verwendungsmöglichkeiten
Die Verwendungsmöglichkeiten für Dederon waren ausgesprochen vielfältig. Das Material kam beispielsweise für die Herstellung verschiedener Kleidungsstücke zum Einsatz. Insbesondere Röcke, Blusen und Kleider wurden daraus häufig hergestellt. Diese Textilien zeichneten sich in der Regel durch einen bunten Aufdruck aus und zogen daher viel Aufmerksamkeit auf sich.
Genau wie Nylon und Perlon diente auch dieses Material der Herstellung von Damenstrümpfen. Die feine seidenartige Struktur sorgte dafür, dass diese Strümpfe sehr beliebt waren. Die Herstellung war deutlich günstiger als bei der Verwendung von Naturseide – die vor der Verwendung dieser Kunstfasern häufig für die Produktion von Feinstrumpfhosen Verwendung fand.
Viele Menschen aus Ostdeutschland erinnern sich auch noch an den Dederon-Einkaufsbeutel. Dieser wurde umgangssprachlich auch als „Falls-Beutel“ bezeichnet. Er befand sich stets in der Handtasche der meisten Damen, falls diese unterwegs ein schwer zu erhaltendes Produkt entdeckten.
Dederon eignete sich hierfür hervorragend. Der Stoff ist sehr robust, sodass man mit diesem Beutel selbst schwere Lasten transportieren kann. Außerdem zeichnet er sich durch eine hohe Lebensdauer aus. Schließlich lässt er sich hervorragend zusammenfalten und nimmt dann nur sehr wenig Platz ein. Daher lässt er sich hervorragend in der Handtasche unterbringen, um auf alle Eventualitäten gut vorbereitet zu sein.
Video: Gartenarbeit mit Kittelschürze (Dederon)
Die Kittelschürze: Ein Klassiker der DDR-Kultur
Ein weiterer Klassiker der DDR-Kultur ist die Kittelschürze aus Dederon. Diese prägte das Erscheinungsbild vieler berufstätiger Menschen, da sie vorwiegend als Arbeitskleidung zum Einsatz kam – in Fabriken, Krankenhäusern und in vielen weiteren Betrieben. Doch auch für die Hausarbeit verwendeten viele Menschen dieses Kleidungsstück.
Die Kittelschürze kann man einfach über die gewöhnliche Kleidung ziehen. Das robuste und kostengünstige Material sorgt dann für einen umfassenden Schutz. Darüber hinaus ist es leicht zu reinigen und es trocknet schnell. Die Vorteile dieses Gewebes waren so groß, dass es über Generationen hinweg als Arbeitskleidung zum Einsatz kam.
Dederon heute: Wird der Stoff aktuell noch verwendet?
Wenn man diesen Artikel liest, könnte man zu dem Schluss kommen, dass Dederon nur in der Vergangenheit zum Einsatz kam und heutzutage nicht mehr produziert wird. Das stimmt natürlich in gewisser Weise. Mittlerweile handelt es sich hierbei nicht mehr um ein Produkt für die breiten Massen.
Dennoch kann man Dederon-Produkte auch heute noch erwerben. Einige Unternehmen – vorwiegend aus den neuen Bundesländern – haben diese Tradition fortgeführt und bieten ihren Kunden auch heute noch die Klassiker der DDR-Textilproduktion an.
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