Erstmals seit vielen Jahren gibt es weniger Bewerber für Ausbildungsplätze als freie Stellen. Unternehmen müssen sich also bei den Arbeitnehmern „bewerben“, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Mangel betrifft viele Branchen – nicht nur bei den Azubis.
Der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen zum Umdenken
Die Geschichte, dass sich Ausbildungsbetriebe bei den Berufsstartern vorstellen, um in die engere Wahl zu kommen, kannte man früher nur aus Zeiten des Wirtschaftswunders und des Arbeitskräftemangels, der schließlich zur Einladung von Gastarbeitern führte. In den letzten Jahrzehnten war es eher umgekehrt und viele Jugendliche fanden gar keinen Ausbildungsplatz.
Diese Zeiten scheinen vorerst vorbei, denn der Fachkräftemangel schlägt voll durch.
Die beste Möglichkeit, einem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken, ist natürlich die Ausbildung des eigenen Nachwuchses in Ausbildungsbetrieben. Das wurde zu lange vernachlässigt, beklagen Fachleute.
Denn der tatsächliche Mangel macht sich auf dem Arbeitsmarkt schon länger bemerkbar. Für viele Berufe gibt es kaum qualifizierte Bewerber und die Bedingungen in manchen Bereichen sind nicht gerade attraktiv.
Ganz vorne stehen dabei zum Beispiel die Pflegeberufe.
Sie waren schon immer mehr Berufung als Beruf, werden nicht sehr gut bezahlt und weisen sehr harte Arbeitsbedingungen auf, denen längst nicht jeder gewachsen ist. Der Bedarf für Pflegekräfte ging im Gegenzug durch die Decke. Doch auch in Berufen, die attraktiver für Bewerber sind, haben die Unternehmen lange geschlafen und die offenen Stellen immer nur an diejenigen mit den besten Zeugnissen vergeben.
Jetzt, da sich gerade diese Bewerber die Stellen aussuchen können, gibt es für viele offene Stellen mit gehobenem Anforderungsniveau einfach keine Fachkräfte, die man einstellen könnte. Die Ausbildung des Nachwuchses, der den Fachkräftemangel beheben soll, benötigt aber Zeit. Zeit, die viele kleine und mittelständische Unternehmen gar nicht haben, wenn die Geschäfte weitergeführt werden sollen oder einfach eine nicht zu bewältigende Auftragsflut ansteht.
Alle Möglichkeiten wie Zeitarbeit oder die Abwerbung von anderen Unternehmen sind unzureichend, denn auch hier schrumpft der verfügbare Anteil an Fachkräften und macht die Sache überdies immer teurer.
Regionale und saisonale Unterschiede bedenken
Das Lehrbuch definiert den Fachkräftemangel wie folgt: Stehen weniger Arbeitslose zur Verfügung als offene Stellen, besteht ein Mangel an (qualifizierten) Fachkräften. Bei den Arbeitsagenturen wird aber längst nicht jede verfügbare Arbeitsstelle gemeldet, weswegen der tatsächliche Fachkräftemangel schon vorher eintreten kann – oder zumindest ein Engpass besteht.
Nun gibt es Berufsgruppen, die überhaupt nicht vom Mangel an Arbeitskräften betroffen sind, weil es genügend Bewerber gibt. Auch die regionalen Unterschiede sind zu beachten – in der Stadt sehen die Verhältnisse oft anders aus als auf dem Land und Nord/Süd- bzw. Ost/West-Gefälle machen sich ebenfalls bemerkbar. Außerdem ist nicht jeder Fachkräftemangel nachhaltig, sondern nur vorübergehend, etwa bei saisonabhängigen Tätigkeiten oder bei einer punktuellen Schwankung der Auftragslage.
Fachkräfte sind generell alle Menschen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung (oder gleichwertigem Bildungsstand). 80 Prozent der Stellen, in denen vom Fachkräftemangel gesprochen wird, beziehen sich auf die „einfache“ Berufsausbildung, also z. B. Gesellen. Akademiker, Meister und vergleichbare Abschlüsse sind bei etwa zehn Prozent der Jobs gefragt. Das stellt zumindest das Institut der deutschen Wirtschaft im Rahmen einer Studie zum Thema Fachkräftemangel fest, die unter anderem vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wurde. Dieser Studie zufolge sieht die Situation in den verschiedenen Berufen sehr unterschiedlich aus.
Am ausgeprägtesten macht sich der Engpass bei den Fachkräften in den folgenden Berufen bemerkbar:
- Gesundheits- und Pflegekräfte
- Landwirtschafts- und Baumaschinentechnik
- Automatisierungsberufe
- Elektrische Betriebstechnik
- Sanitär, Heizung, Klima
- Bauelektrik
- Mechatronik
- Hörgeräteakustik
- Kältetechnik
Bei all diesen Berufen reicht die Anzahl der passenden Bewerber mit der erforderlichen Qualifikation nicht aus, um die Nachfrage der Unternehmen zu befriedigen. Bei Tätigkeitsfeldern wie der Altenpflege kommen auf 100 gemeldete Stellen beispielsweise nur 26 Arbeitssuchende. Der Bedarf übersteigt in diesem Fall das Angebot also fast um den Faktor vier. Diese Entwicklung kam allerdings nicht über Nacht. Der Fachkräftemangel macht sich seit mindestens fünf Jahren in Deutschland bemerkbar – mit zunehmender Tendenz. Wie bereits erwähnt, gibt es saisonale und regionale Unterschiede, aber das Gesamtbild spricht für sich: Die Arbeitgeber müssen dringend attraktiver werden, um den Fachkräftemangel zu überstehen.
Was tun, wenn der Fachkräftemangel durchschlägt?
Findet ein Unternehmen trotz intensiver Suche keine geeigneten Fachkräfte, sollte das Bewerbermanagement überdacht werden. Die gesamte Arbeitsmarktpolitik der letzten 30 Jahre war meist darauf ausgerichtet, Gehälter zu begrenzen und Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber zu senken, damit diese neue Stellen schaffen. Ebenso war das Bewerbermanagement auf ein Überangebot an Bewerbern ausgerichtet.
Viele Personalchefs haben den Wechsel nicht geschafft und verstehen nicht, dass sie jetzt plötzlich die „Bittsteller“ sein sollen, die um Arbeitskräfte kämpfen müssen. In der Wirtschaft setzen sich aber letztlich nur die Unternehmen durch, die ihr Bewerbermanagement der aktuellen Situation anpassen. Einige Maßnahmen, die Erfolg bringen können, sind offensichtlich: Stehen in Deutschland nicht ausreichend Fachkräfte zur Verfügung, kann man sich im Ausland umsehen, um den Fachkräftemangel zu beheben.
Die Freizügigkeit in der Europäischen Union vereinfacht dies in den Mitgliedsländern, bei der Anstellung von Arbeitskräften aus Ländern außerhalb der EU wird es hingegen oft kompliziert. Für viele kleine und mittlere Unternehmen sogar zu kompliziert, denn in kleinen Betrieben fehlen häufig die Kapazitäten, um neben der alltäglichen Arbeit die Rekrutierung von neuem Personal in den Mittelpunkt zu stellen.
Werden Sie zum Wunscharbeitgeber für Fachkräfte
Ein wichtiger Punkt bei der Formulierung von Stellenausschreibungen liegt in der Eliminierung von Einschränkungen, die von vornherein viele Bewerber abschrecken oder gar ausschließen. Tatsächlich finden aber oft ungewöhnliche Kombinationen zueinander, die beide Seiten zufriedenstellen, wenn man so viele Personengruppen wie möglich anspricht. Hat man erst einmal viele verschiedene Bewerber zur Auswahl, kann man die jeweilige Zielgruppe je nach Anforderungsniveau verengen.
Immer noch bekommen
- Frauen,
- Behinderte,
- ältere Menschen und
- Arbeitslose, die seit langer Zeit ohne Job sind, viel zu selten eine Chance.
Die typischen Rollenverteilungen zwischen „männlichen“ und „weiblichen“ Berufen sind außerdem viel zu oft bei kleinen und mittleren Unternehmen quasi in der DNA des Chefs verankert. Von diesen Einschränkungen sollte man sich also dringend lösen. Oft verschlafen Unternehmen den richtigen Zeitpunkt für Stellenausschreibungen und warten damit, bis der Bedarf akut wird.
Eine möglichst weitsichtige und langfristige Planung der betriebseigenen Arbeitsmarktpolitik kann da schon viel bewirken, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Unter dem Strich muss ein Unternehmen letztlich so attraktiv sein, dass es aus der Masse der Firmen heraussticht und ein regelrechter Wunscharbeitgeber wird. Schafft man das, motiviert es die künftigen Arbeitnehmer ungemein und verbindet sie mit dem Unternehmen in einer Weise, die man anders kaum erreichen kann.
Was kann man konkret gegen Fachkräftemangel tun?
- Kontaktpflege: Begeistern Sie schon früh Jugendliche in Ihrem Einzugsgebiet, indem Sie Kontakte zu Schulen und Ausbildungsstätten pflegen. Bieten Sie großzügig Praktikumsstellen an und seien Sie im Internet aktiv. Vor allem eine gute und aktuelle Präsenz in den Sozialen Netzwerken ist hilfreich.
- Geben Sie an mit Ihren Vorzügen: Einfach nur zu schreiben, dass man freie Stellen besetzen möchte und dann eine Kontaktadresse ins Internet zu stellen, ist heute zu wenig. Zeigen Sie Videos, Blogbeiträge und andere interessante Dinge, die das Unternehmen besonders attraktiv erscheinen lassen. Die Sympathie spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle – auf beiden Seiten!
- Anonymität im Unternehmen beseitigen: Ein Chef, der ein offenes Ohr für alle Beschäftigten hat, kann im Gegensatz zu den meisten anonymen Großunternehmen mit persönlicher Beziehung punkten. Mitarbeiter sollten das Gefühl haben, wichtig zu sein.
- Bleiben Sie kompetent: Auch Führungskräfte sollten sich fortbilden. Unterstützen Sie außerdem Bewerber und Arbeitnehmer, in Form von Weiterbildungen Karriere in Ihrem Unternehmen machen zu können. Letztlich profitieren alle davon.
- Vorhandenes Wissen nutzen: Oft wird nur auf junge Bewerber geschielt. Aber der Arbeitsmarkt ist voll von kompetenten und erfahrenen Arbeitnehmern älteren Baujahrs, die kaum noch eine Chance auf Vermittlung haben. Der Erfahrungsschatz, den diese Menschen besitzen, kann für ein Unternehmen aber sehr wertvoll werden.
- Schauen Sie sich an, was ehemalige Mitarbeiter über Ihren Betrieb sagen: Es gibt Bewertungsportale im Internet, wo Unternehmen von Arbeitnehmern bewertet werden. Oft sind Chefs davon nicht begeistert, doch diese Kritik sollte man ernst nehmen und – sofern berechtigt – zum Anlass nehmen, Änderungen vorzunehmen.
Diese Liste mit Tipps ist sicher nicht vollständig und kann beliebig um weitere Punkte ergänzt werden. Doch der springende Punkt ist, dass der Fachkräftemangel vor allem mit einer gestiegenen Attraktivität seitens der Arbeitgeber zu beheben ist. Nicht zuletzt sollte man auch unqualifizierte Bewerber ins Auge fassen und ihnen gegebenenfalls eine Ausbildung ermöglichen oder sie bei der Eigenqualifikation unterstützen. Viele Bewerber haben begriffen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt nur bestehen können, wenn sie etwas für ihre Fortbildung tun. Arbeitgeber, die diese Bereitschaft nicht nur dankend zur Kenntnis nehmen, sondern aktiv unterstützen (durchaus auch finanziell), punkten bei ihren (zukünftigen) Arbeitnehmern ganz gewaltig.
Die Loyalität solcher Arbeitskräfte ist kaum hoch genug zu bewerten. Übrigens gibt es viele Geflüchtete, die Fachkenntnisse aus ihren Heimatländern mitbringen. Auch wenn diese nicht immer die fachliche Anerkennung nach deutschen Standards bekommen, ist ein guter Handwerker unter dem Strich immer noch ein guter Handwerker, selbst wenn ein Stempel fehlt. Damit er diesen bekommt, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer durch Qualifizierungsmaßnahmen unter die Arme greifen und dennoch bereits von Beginn an von dessen Fachwissen profitieren.
Es wäre allerdings wünschenswert, wenn Arbeitgeber, die Geflüchtete ausbilden, auch Planungssicherheit bekommen. Werden Asylbewerber abgeschoben, weil ihr Aufenthaltsrecht abgelaufen ist, bringt das natürlich auch den Arbeitgeber in Nöte, der auf eine mehrjährige Ausbildung gesetzt hat. Justierungen der Arbeitsmarktpolitik sind diesbezüglich schon im Gespräch, so dass der Fachkräftemangel eventuell auch mit Hilfe von Flüchtlingen bekämpft werden kann.
Fazit: Es wird Zeit, attraktiv zu werden!
Es ist leider eine Tatsache, dass viele deutsche Unternehmer die Notwendigkeit zur Nachbildung von Fachkräften verschlafen haben. In manchen Berufsgruppen sind die Arbeitsbedingungen so unattraktiv, dass es kaum noch Bewerber gibt. Dabei sind gerade die oft erwähnten Pflegekräfte so gefragt wie nie.
Unabhängig von der Branche muss jeder Unternehmer sein Bewerbungsmanagement überprüfen und den Gegebenheiten anpassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn Wettbewerbsfähigkeit bedeutet heute nicht nur, gute Gehälter zu zahlen, sondern insgesamt attraktiv für Bewerber zu sein, mit denen man seine offenen Stellen besetzen möchte.
Bildnachweis:©Shutterstock-Titelbild: 4 PM production -#01: Syda Productions .#02: YAKOBCHUK VIACHESLAV -#03: Alan Poulson Photography _-#04: Syda Productions -#05: GagliardiImages