Es gibt Werkstoffe, die hatte schon jeder in den Händen, hat sie teils sogar selbst verbaut und doch ist ihr Name den meisten Menschen unbekannt. Polyurethan gehört sicherlich dazu. Viele würden zur Vereinfachung einfach von Plastik oder Kunststoff sprechen, was nicht falsch ist, aber dem Werkstoff nicht den Wert zumisst, den er tatsächlich hat.
Polyurethan: Eine besondere Form von Plastik
Einfaches Plastik ist es nämlich nicht und als Werkstoff in der Industrie auch nicht mehr fortzudenken. Was es mit dem Stoff auf sich hat, welche Varianten es gibt und warum der Werkstoff nicht mit der bloßen Plastiktüte aus dem Supermarkt verglichen werden sollte, zeigt dieser Artikel.
Was ist Polyurethan genau?
Polyurethane sind Kunstharze, die ihrem Anwendungsgebiet entsprechend verarbeitet und zu dem gewünschten Endprodukt gewandelt werden. Für den Verbraucher ist es oft schwer zu verstehen oder zu erkennen, dass es sich um PUR handelt. Dies liegt mitunter an der Wandlungsfähigkeit, denn die Eigenschaften der Polyurethane erlauben es, Schaumstoff für Matratzen, Bestandteile für Automobile, Dämmstoffe, Kleidungsfasern, Schürfleisten oder Laufrollen aus eben diesem Stoff herzustellen. Einige Punkte im Überblick:
- Herstellung – Polyurethane werden synthetisiert, indem eine chemische Reaktion eines Diisocyanats mit Polyol herbeigeführt wird. Nach diesem Prozess erscheint ein vielseitiger Stoff, der mit vielen weiteren Substanzen ganz nach Belieben kombiniert werden kann. So entstehen vielfältige Möglichkeiten in der Verwendung, die heute auch entsprechend genutzt werden.
- Einsatzmöglichkeiten – es ist kaum zu sagen, wie viele einzelne Produkte und Werkstoffe aus PUR hergestellt werden können. Da die Ausgangsstoffe mit unzähligen anderen Elementen kombiniert werden können, ist Polyurethan fast mit einem Wimpernschlag wandelbar.
- Recycling – Polyurethane können wiederverwertet werden, was auch geschieht. Vielfach wird jedoch eine Verbrennung angestrebt, da der Recyclingprozess an sich umweltschädlicher wäre, als die Verbrennung.
- Energieersparnis – da sich PUR als Dämmstoff bewiesen hat, könnten weltweit wohl um die zwanzig Prozent der CO2-Emissionen reduziert werden, würde die Dämmung von Gebäuden auf diesen Stoff umgestellt werden.
- Lebensdauer – die Art des PUR und dessen Nutzung entscheiden über die Lebensdauer. Bei Kühlschränken besteht die Lebensspanne bei um die 25 Jahre, bei Stoßstangen und anderen Fahrzeugbestandteilen rund 20 Jahre. Die Lebensdauer resultiert hier aber auch aus der Verwendung der Kühlschränke und Fahrzeuge. Wird der Stoff in der Gebäudedämmung eingesetzt, hält er für weit mehr als 50 Jahre.
Polyurethan: Welche Vorteile weist der Werkstoff auf?
Einer der größten – wenn nicht gar der größte – Vorteile ist natürlich die Vielseitigkeit des Werkstoffs. Wenn ein Grundstoff dazu genutzt werden kann, um unzählige weitere Grundstoffe herzustellen, ist dies für die industrielle Fertigung ein wahrer Glücksgriff. Doch gibt es noch weitere positive Eigenschaften:
- Mechanische Festigkeit – Polyurethan besitzt eine enorme Festigkeit, die verhindert, dass er selbst bei mechanischen Kräften zerfällt. Diese Eigenschaft erlaubt auch den Einsatz in den unterschiedlichsten Bereichen.
- Haltbarkeit – PUR ist verschleißfest, hält massiven Schlägen stand und beweist eine sehr gute Witterungsbeständigkeit. Aus diesen Gründen wird es gerne als Schlagschutz oder auch in Walzen verwendet. Dort ist eine gute Haltbarkeit ein entscheidendes Kriterium.
- Ölbeständigkeit – Öle und Fette greifen viele Kunststoffe und andere Materialien an. PUR zeichnet sich durch die hohe Beständigkeit gegen Fette und Öle aller Art aus.
- Kälteunempfindlich – Kunststoffe werden häufig instabil, sobald die Temperaturen in die tiefen Minusgrade gehen. Die einzelnen Bestandteile werden nun porös und brechen unter Belastung eher. Bei PUR sieht das anders aus, sodass es als extrem tiefentemperaturbeständig gilt.
- Formbeständig – selbst unter Belastung verformt sich das Material kaum. Diese Stabilität ist in vielen Bereichen ein großer Vorteil.
- Kostenlast – Polyurethane sind relativ günstig, was mit ein Grund für die enorme Beliebtheit ist. Die Herstellungskosten variieren natürlich und werden von den Beistoffen mit entschieden.
Wo wird es eingesetzt?
Die Frage ist eher, wo wird es nicht eingesetzt. Im Umkreis von fünf Metern wird jeder Einzelne garantiert Produkte oder Stücke vorfinden, in denen PUR verarbeitet wurde oder die aus dem Stoff bestehen. Steckt das Smartphone oder das Tablet in einer Hülle, besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass diese aus PUR hergestellt wurde. Viele der Möbelstücke aus einem schwedischen Möbelhaus wurden wahlweise mit einem PUR-Lack behandelt oder gleich mit einer farblich passenden Schicht aus PUR eingefärbt. In der industriellen Fertigung ist Polyurethan in all seinen Varianten also kaum wegzudenken und wird mitunter in den folgenden Produktionen genutzt:
- Automobilindustrie – Stoßstangen, Seitenspiegel, mitunter das Armaturenbrett und die Kunststoffinneneinrichtung – all diese Stücke basieren auf PUR-Verbindungen. Hinzu kommen häufig noch die Polsterungen in den Sitzen. Gerade für die Autoindustrie hat PUR damit eine immense Bedeutung.
- Luftfahrt – auch im Flugzeugbau kommt es auf Haltbarkeit und Robustheit an. Da PUR auch noch leicht ist, wird die Innenausstattung des Flugzeugs nicht selten daraus gefertigt.
- Polsterung – Polstermöbel, Stühle, Sitzkissen, Matratzen, Bürostühle – sofern es sich nicht gerade um einen Federkern handelt, setzt die Industrie auf PUR. Da das Material je nach Form eine hohe Hitzebeständigkeit aufweist und so zusammengesetzt werden kann, dass keine Brennbarkeit besteht, ist es für Polsterungen ideal.
- Bauindustrie – rund um den Bau von Gebäuden taucht PUR in all seiner Vielseitigkeit auf. Bereits erwähnt wurde PUR schon als Dämmstoff, doch auf dem Bau ist es in den Rädern von Rollwagen, in Walzen, in Förderbändern und vielem mehr zu finden.
- Kleidungsindustrie – eine Variante der Polyurethane wird zu Fasern verarbeitet, die in der Textilindustrie eingesetzt werden. Polyester gehört beispielsweise zu ihnen. Aber auch in Arbeitskleidungen, Schutzkleidungen oder der Ausrüstung von Sportlern befindet sich PUR. Somit kommen Verbraucher quasi alltäglich mit PUR in Berührung.
- Lacke – PUR-Lacke weisen eine besonders gute Haltbarkeit auf und sind somit beständig gegen Lösungsmittel, Witterungsbedingungen und auch verschiedene Chemikalien. Darüber hinaus sind auch die guten Haftungseigenschaften von Vorteil, die diese Lacke zu perfekten Grundierungen machen. PUR-Lacke erfreuen sich deshalb einer großen Beliebtheit und werden in vielen Bereichen eingesetzt.
Die großen Sportausrüster arbeiten in ihrer Fertigung übrigens ständig mit Polyurethan, sei es, für Privatkunden, Vereine oder auch die Nationalmannschaften. Denn nicht nur schützt sich jeder Fußballspieler von den Bambinis bis zum Profi mit Schienbeinschützern aus PUR, auch die Bälle werden längst aus Polyurethan hergestellt. Dies soll gar Vorteile in der Ballphysik mit sich bringen. Ferner besteht auch der äußere Mantel einer Bowlingkugel aus PUR.
Polyurethan: So macht der Stoff das Leben beim Sport und in der Freizeit schöner
Auch beim Sport und in der Freizeit ist Polyurethan nicht mehr wegzudenken. Nachfolgend nur ein paar Beispiele, wie dieser ganz besondere Plastik das Leben verschönert und doch so unbekannt ist. Der Golfball besteht aus diesem Material und verbessert die Performance beim Abschlag. Sohlen aus Polyurethan wiederum bieten ihren Trägern ein komfortables Gefühl bei Bewegungen aller Art. Das kann die stundenlange Wanderung sein oder der 100-Meter-Sprint. Auch Schuhe zum Skifahren wie die eigentlichen Skier enthalten heutzutage diesen einmalig verwendbaren Stoff, welcher als besonders robust gilt. Der Holzski gehört also längst der Vergangenheit an.
Weitere Sportgeräte mit Polyurethan? Die Rollen der Inline-Skates sowie von Kickboards und auch Surfbretter verfügen über diesen einmaligen wie vielseitigen Werkstoff. Es ist daher auch keine Überraschung, dass die Reifen von Fahrrädern den Stoff enthalten und in Form bestimmter Reifen-Systeme sogar einen besonderen Schutz und eine hohe Widerstandsfähigkeit besitzen. Ergo: Diesem Wunderstoff entkommt man auch beim Freizeitvergnügen nicht.
Bis 1945 nur zu militärischen Zwecken eingesetzt: Die Geschichte seiner Herstellung
Wann wurde dieser Alleskönner entwickelt? Diese Frage sollte nicht nur Historiker interessieren. So wurden im Jahre 1937 in den Laboratorien der IG Farben zum ersten Male Polyurethene synthetisiert. Damals noch unter der Bezeichnung „Igamid U“ beziehungsweise „Perlon U“. Die industrielle Fertigung startete drei Jahre später ebenfalls in Leverkusen. Durch den zweiten Weltkrieg und der als Folge verbundenen Rohstoffknappheit dauerte es länger, bis eine Massenproduktion zustande kam. Überhaupt wurde dieser Stoff bis Ende des Krieges nur zu militärischen Zwecken im Flugzeugbau verwendet.
Im Jahre 1952 standen weniger als 100 Tonnen des für die Erzeugung notwendigen TDI zur Verfügung. Kommerziell wichtig wurde der Stoff durch die Entwicklung der Polyester-Schaumstoffe in den Jahren 1952-1954. Die Bedeutung der Polyurethane wuchs mit dem Einsatz von Polyetherpolyolen. Da es immer mehr Variationsmöglichkeiten gab, kam es auch zu einer erhöhten Ausdehnung der Anwendungen. Im Jahre 1960 produzierte man deshalb über 45000 Tonnen dieser Schaumstoffe.
Polyurethan: Rasantes Wachstum im weltweiten Verbrauch
Der weltweite Verbrauch wuchs im Laufe der Jahre rasant: Von 9 Millionen Tonnen Polyurethan im Jahre 2002 bis auf über 12 Millionen in 2007. Mit einer jährlichen Zuwachsrate von etwa 5 Prozent ist auch in den nächsten Jahren kein Abflauen der Produktionsraten zu erwarten. Alleine in Deutschland produzieren die wichtigsten Hersteller Covestro und BASF eine knappe Millionen Tonnen an Polyurethan. Verwendet wird der Stoff in einem Anteil von 32 Prozent für die Dämmung von Gebäuden, 20 Prozent für Möbel und Matratzen, zu 14 Prozent im Automobilbau und zu 10 Prozent bei Lacken und Farben.
Fazit: Wer noch nie von Polyurethan gehört hat, ist umso überraschter, was sich hinter diesem Begriff versteckt. Es gibt nur wenige Werkstoffe in der Industrie, welche so vielseitig eingesetzt werden können. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: Das Leben sähe anders aus ohne Polyurethan. Faszinierend daran ist seine Wandlungsfähigkeit und Vielfältigkeit. Wer ahnt schon, dass dieser Stoff im Innern von Flugzeugen verbaut wird und zugleich als Smartphone-Hülle dienen kann. Und wer hätte gedacht, dass auch die Textilindustrie Polyurethan verwendet, um als Faser im Polyester verarbeitet zu werden. Da wundert man sich schon gar nicht mehr, dass auch Fußbälle aus diesem Stoff bestehen.
Die weltweite Nachfrage dürfte in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Alleine in den riesigen Märkten China und Indien wird es bei anhaltendem Wirtschaftswachstum fast automatisch zu einer verstärkten Nachfrage kommen. Inzwischen stehen im „Reich der Mitte“ sogar schon die ersten Rotorblätter für Windanlagen, welche aus Polyurethan bestehen. Die im Jahre 2018 von COVESTRO eingeweihte Windparkanlage ist ganz sicher nicht die letzte Investition dieser Art.
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