Stellen Sie diese Frage mal einem SEO-Spezialisten und einem Journalisten. Aber bitte nicht, wenn sich beide gleichzeitig in einem Raum befinden, denn dann gibt es Krieg. Die Bewertung von Content hinsichtlich seiner Güte ist im Online-Marketing eine Frage des Standpunktes und damit des Blickwinkels. Und drei weitere Stakeholder haben wir noch vergessen, nämlich den Social Media Fuzzy, den Conversion-Optimierer und den Marketer.
Uns allen ist dennoch klar: Online-Marketing geht nur noch mit gutem Content. Mehrwert für den Nutzer und am besten einzigartige und ergiebige Inhalte, die von der Suchmaschine mit guten Ergebnissen belohnt werden. Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis bisweilen kompliziert. Nicht nur aber auch aus den zu Beginn aufgeführten Gründen.
Content ist das A und O für Google-Rankings
Was war das so schön einfach, als Google noch in den Kinderschuhen steckte und man Webseiten durch simples Keyword-Spamming auf die vorderen Plätze der Suchergebnisse pushen konnte. Diese Zeiten sind lange vorbei. Mit jedem Update des Google-Algorithmus erkennt die Suchmaschine sogenannte Mehrwert-Texte immer besser, kann Unique Content von Plagiaten unterscheiden und straft Fehler im Content-Management gnadenlos ab.
Wer sich heute noch durch das einfache Auflisten von Keywords am Ende der Seite Vorteile verschaffen will, landet nicht nur auf den hinteren Plätzen der Suchergebnisse, sondern kann im Zweifel sogar komplett aus dem Index fallen. Die Lösung ist klar: Stellt den Usern guten Content mit Mehrwert bereit, dann ist alles gut. Aber wie soll guter Content wirklich aussehen?
Content-Marketing: Ein Horrorprojekt im eigenen Haus?
Oben habe ich es ja schon angedeutet. Wer ein Content-Projekt angeht, wird unterschiedliche Leute ins Boot holen. Und ein jeder wird etwas anderes beitragen, das Projekt aus eben seiner (Rollen-/Kompetenz-)individuellen Sicht maßgeblich beeinflussen. Was bedeutet das? Wenn Sie mit den vier Archetypen aus der Einleitung am Tisch sitzen, womöglich einer der vier Fraktionen angehören, ist es wichtig, dass Sie deren Output stets mit deren Blickwinkel etikettieren und erst daraufhin bewerten. Andernfalls droht das Projekt alle Nase lang in eine andere Richtung zu toben oder man verliert sich in endlose Diskussionen, bei denen es keine inhaltliche Einigung erzielen lässt.
Bevor wir in die technischen Tiefen des Content-Themas hinabsteigen, möchte ich Ihnen zuerst mal die vier Damen / Herren mit ihrer Sichtweise vorstellen. Wenn Sie anschließend weiterlesen, wird es hilfreich sein, wenn Sie die vier Mindsets im Gedächtnis haben (oder öfter mal wieder nach oben scrollen).
- Der SEO-Spezialist
Vom Selbstgefühl her ist er eigentlich kein SEO-Spezialist, sondern SEO-Gott. Er hat die rein technische Sicht auf den Content, kann genau erklären, welcher Begriff wie oft in welcher Subheadline vorkommen muss, damit Google schnallt, was wir wollen. WDF/IDF? Naklar muss das. Doch wenn es um Tonalität und Corporate Language oder gar um das böse Thema Conversion geht, steigt er aus, weiß nicht mal, wie das geschrieben wird. Wenn Sie ihn fragen, welche Infografiken eingefügt werden sollten, wird er mit „eigentlich völlig egal, Hauptsache groß“ antworten, noch bevor Sie Ihre Frage mit „, damit eine Anfrage generiert wird.“ vollendet haben. Das hilft Ihnen natürlich nicht viel, denn was bringen Ihnen Texte, die kurzfristig in der Google-Suche nach oben treiben, aber dann wieder abfallen, sobald Google bemerkt hat, dass die Leser nach 20 Sekunden wieder abschwirren. Wie Google das merkt? Sie benutzen doch Analytics, oder? - Der Journalist
Er ist der Erzfeind des SEO-Gottes. Jegliche Einschränkung ist ihm ein Greuel. Und das Keyword in der Headline? Geht gar nicht. Das liest sich nicht. Und wehe, Sie kommen ihm mit „mindestens 500 Worte“. Dann steigt er ganz aus und empört sich mit „Wie soll ich denn über dieses flache Thema 500 Worte schreiben? Außerdem misst man sowas ohnehin in Zeichen bestenfalls in Normseiten“. Na wunderbar, da haben wir ja ordentlich Dynamit an Bord. Eigentlich ist es sehr schade, dass der Journalist ( und auch viele Texter generell ) ihre Freiheits- und Unabhängigkeitsliebe mit Gewalt vor sich her tragen müssen. Gerade sie wären es, die das Storytelling zelebrieren könnten. Leider sind sie recht sensibel, was Vorgaben angeht. Deswegen bleibt deren Kühlschrank auch oft unterdurchschnittlich befüllt… - Der Social Media Fuzzy
Er ist derjenige, der Antennen für die Akzeptanz der Inhalte beim Publikum einbringt. Das hat er im Gespür, ob der Artikel abnerven wird, oder ob man ihn liken wird. Liken wohlgemerkt mit dem Herzen, nicht mit der Maus. Die Maus kommt dann von ganz alleine in Aktion. Die Wünsche des SEO-Gottes kann er akzeptieren, das ewige Geschwafel des Journalisten ist ihm ein wenig zuwider. Abgehoben und unlikable wird er das nennen. Aber diese beiden sollte man sich reiben lassen. Dann kanns was werden. Sie können auch miteinander reden. - Der Marketer
Ja, der hält natürlich die Fahne hoch und sorgt letztlich dafür, dass das Ganze noch möglichst viel mit Unternehmen und Marke zu tun hat. Wo der Social Media Fuzzy bunt und überschwänglich drauf los galoppiert, wird er ein wenig zügeln. Mit dem SEO-Gott wird er sich kappeln, weil nicht alles, was WDF/IDF fordert auch zur Corporate Language passt. Und die Marke muss ja auch immer dabei sein. Und dass wir die Größten, Schönsten und Besten sind – ja gerade das ist unabdingbar. Okay, es ist gut, dass jemand daran erinnert. Der Social Media Fuzzy wird das mit den Größten, Schönsten und Besten so formulieren, dass es niemanden anödet. Der Marketer ist im Boot der Steuermann. Er gibt die Richtung vor. Die andern rudern mit ihren speziellen Skulls. Er muss den Kurs vorgeben und einhalten. - Der Conversion-Optimierer
Er ist für Sales zuständig. Ach was… Ja, wenn der Leser auf der Seite steht, dann ist es seine Aufgabe, den Leser zur „Action zu callen“. Das hört sich simpel an, aber wer diesen Artikel hier berufsbedingt liest, der wird wissen, wovon ich rede. „Jetzt haben wir so schönen Content auf der Seite und die Anfragen gehen einfach nicht rauf!“ ist im Lande mehr als nur einmal zu hören. Wie formt man aus dieser Herde von Neigungen eine schlagkräftige Armee? Nun, ein Content-Projekt will gut geplant sein. Abfolge von Aufgaben, Abhängigkeiten sind vorgegeben. Bevor der Marketer seine Spezialisten an den Tisch holt, muss er wissen, wann wer sein unverzichtbares Know-How einzubringen hat. Dann wird’s was.
Nach diesen einleitenden – und wie ich hoffe auch ein wenig unterhaltesamen – Worten gehen wir nun ein wenig ans Eingemachte.
Was taugen pauschale Strategien im Content Management?
Stellen wir zunächst mal fest, was Content bedeutet. Man könnte auch das deutsche Wort Inhalt benutzen, aber das spielt letztlich keine Rolle. Wenn SEO-Agenturen und Marketingexperten von hochwertigem Content sprechen, meinen Sie Texte, die dem Nutzer Informationen mit Mehrwert vermitteln. Idealerweise sollte der Leser genau die Fragen beantwortet bekommen, die ihm wichtig sind. Kein unnötiges Geschwafel und keine künstlich aufgepumpten Texte, um auf hohe Wortzahlen zu kommen. Trotzdem können lange Texte Sinn machen, wenn es etwa um komplexe Sachverhalte oder Themen geht, die nicht einfach mit zweihundert Wörtern abgehandelt sind. Umgekehrt muss man eine Produktbeschreibung für eine Gartenschaufel nicht künstlich aufblähen – sind die primären Eigenschaften des Produkts benannt und alle potenziellen Fragen des Kunden beantwortet, sollte das Pferd nicht totgeritten werden.
Hat man das einmal verstanden, wird eine einfache, aber wichtige Regel klar: Starre Regeln und Vorgaben von sogenannten Experten, die alle paar Monate glauben, den Google-Algorithmus verstanden zu haben, sollte man nicht zur absoluten Wahrheit erheben. Denn die Wahrheit ist, dass sich bei den ständig ändernden Voraussetzungen bei den Suchmaschinen auch die Anforderungen an guten Content verändern. Das, was vor einem Jahr noch aktuell war, kann heute bereits überholt sein. Ein besonders häufig benutzter Maßstab für das Verhältnis von Keywords zu restlichem Content ist die sogenannte WDF*IDF-Formel. Dabei handelt es sich um eine mehr oder weniger einfache Formel, anhand derer die Sättigung und Bedeutung der für das Thema relevanten Keywords bestimmt werden kann.
Es gibt generell zwei „Glaubensausrichtungen“:
- Die einen SEO-Experten schwören darauf und halten WDF*IDF für die absolute Wahrheit, an die man sich sklavisch halten muss.
- Die anderen halten das Konzept für völlig überbewertet und verlassen sich lieber auf organischen Content, der die für das Thema relevanten Suchbegriffe quasi automatisch enthalten wird.
Für beide Seiten wird es Statistiken und Argumente geben, die man sich zu eigen machen kann. Doch egal, wie man die Frage nun sieht: Nichts im SEO-Bereich ist in Stein gemeißelt und wird es auch künftig nicht sein. Es ist allerdings seit einigen Jahren eine gewisse Tendenz zu beobachten: Mit jeder neuen Aktualisierung der Google-Algorithmen verlieren einige der zuvor funktionierenden „Formeln“ und „Regeln“ an Bedeutung und Wirkung, während die Wichtigkeit von „gutem Content“ mit Mehrwert immer weiter zunimmt.
Natürlich macht es auch künftig Sinn, in einen Text die Suchbegriffe einzufügen, die von den Lesern vermutlich eingegeben werden. Und selbstverständlich kann man Online-Tools nutzen, um die Wichtigkeit und Häufigkeit von bestimmten Keywords zu ermitteln. Aber eines kristallisiert sich immer stärker heraus: Je mehr man Texte so konzipiert, dass sie von einem „echten“ Leser als sinnvoll und informativ erachtet werden, desto eher wird Google künftig einen solchen Text auf die vorderen Ränge der Suchergebnisse verschieben.
Der Streit um die Textlänge
Es gibt auch von dieser (zugegebenermaßen sehr einfachen) Regel gewisse Ausnahmen, weil nicht alle Texte nach dem gleichen Schema funktionieren. Ein Blogartikel zu einem politischen Thema wird anders gestaltet als eine Produktbeschreibung, ein Ratgeber oder News im journalistischen Stil. Die Leser suchen immer das, was sie aktuell interessiert. Das erscheint logisch, macht aber auch deutlich, dass beispielsweise Neuigkeiten zur Bundestagswahl am Tag nach der Wahl sehr schnell an Wertigkeit in den Suchergebnissen verlieren. Das ist ein bisschen wie mit den Preisen für Weihnachtsbäume nach dem 24. Dezember. Die Nachfrage bestimmt den Preis bzw. die Wertigkeit für die Suchmaschinenergebnisse.
Andere Texte sind zeitlos und werden immer wieder von Kunden gesucht, weil die Inhalte aktuell bleiben. Das können beispielsweise Erklärtexte zu bestimmten Themen sein oder auch Wiki-Einträge. Besonders Firmen im mittelständischen Bereich sind dazu übergegangen, ihre oft recht eintönigen und nichtssagenden Webauftritte durch interessante Artikel anzureichern, die etwas über die Firma, ihre Produkte oder neue Entwicklungen aussagen. Der richtige Content hängt also im starken Maße von der Aktualität ab. Wie lang ein Text sein sollte, gehört zu den größten Streitpunkten in der SEO-Community. Auch hier zeigt die Erfahrung, dass pauschale Aussagen zur Textlänge nicht immer zielführend sind. Blogartikel dürfen beispielsweise länger sein als eine Produktbeschreibung oder ein reiner Nachrichtenbeitrag.
Selbst wenn weiterführende Informationen sinnvoll sind, sollte man es manchmal einfach dem Leser überlassen, ob er einen längeren Text lesen möchte (etwa durch das Einfügen zu weiterführenden Links zum Thema) oder ob ein kurzer Text ausreicht. Das Argument der „ein Text muss mindestens 500 Wörter haben“-Verfechter ist darauf bezogen, dass Google kürzere Texte oft als den Versuch abtut, mit wenig Aufwand viel unterschiedlichen Content zu produzieren. Klar: Zehn Artikel mit 200 Wörtern füllen eine Webseite schneller als drei Artikel mit 500 Wörtern. Trotzdem können auch kurze Texte sinnvoll und zielführend sein, wenn sie eben den berühmten Mehrwert an Informationen für den Leser enthalten.
Timing ist wichtiger als pauschale Formeln 06131 / 30292-13.
Best
Hans-Jürgen Schwarzer
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